Gegen den Willen von Parteichefin Merkel beschließt die CDU die Aufhebung des Kompromisses zur doppelten Staatsangehörigkeit. Klar ist: Auf dem Bundesparteitag gab es eine Panne. Unklar ist worin sie besteht und wer sie verursacht hat.

Berlin - Da ist eine Panne passiert, und zwar eine ziemlich große. So weit herrscht in der CDU am Tag nach dem Ende des Essener Bundesparteitags Einigkeit. Und einig ist sich die Partei gegenwärtig ja nicht so häufig. Der mit knapper Mehrheit und gegen den Willen von Parteiführung und Kanzlerin angenommene Beschluss, den Koalitionskompromiss zur doppelten Staatsbürgerschaft aufkündigen zu wollen, hat das erneut deutlich gemacht. Allerdings hört die Einigkeit auch schon an genau dieser Stelle wieder auf. Denn bereits die Fragen, worin denn die Panne genau bestehe und wer sie verursacht habe, spaltet die Christdemokraten.

 

Nicht wenige weisen mit dem Finger auf die Kanzlerin. Das ist nicht abwegig, denn Angela Merkel hatte in einem Interview schnell klargemacht, dass sie den Beschluss – erstens – nicht gut findet, dass er – zweitens – in ihrem Bundestagswahlkampf keine Rolle spielen soll, und dass er – drittens – keinerlei Einfluss auf das Regierungshandeln haben werde, weil dafür der Koalitionsvertrag und kein Parteitagsbeschluss ausschlaggebend sei. Armin Schuster, der Bundestagsabgeordnete und Innenpolitiker (Wahlkreis Lörrach-Müllheim), formuliert zurückhaltend: „Man hätte mit einer anderen Reaktion die Sache weniger aufladen können.“ Schuster hatte gegen den Antrag gestimmt, der von der Jungen Union eingebracht worden war. Er glaubt, dass der Verlauf des Parteitags das versammelte Parteivolk mit Selbstbewusstsein erfüllt habe. Dazu zählte auch das Eingeständnis Merkels, die Hilfe der Basis zu brauchen. Dass sie nun den Beschluss so brüsk abbügelt, „könnte ihr noch innerparteilichen Ärger einbringen“, meint Schuster.

Antrag zur Staatsbürgerschaft galt nicht als brisanter Programmpunkt

Andere glauben, dass die eigentlich Panne schon vorher passiert war, weil die Parteiführung nicht abgesehen habe, dass sich an diesem Punkt der Programmberatung emotionale Debatten entzünden könnten. Da ist etwas dran. Parteitage sind Veranstaltungen, in denen die Parteispitze die Regie führt. Irgendwo aber sucht die Basis immer einen Ausbruchspunkt aus dem ihr auferlegten Korsett aus Disziplin und Gefolgschaft. Tatsächlich hatte Generalsekretär Peter Tauber im Vorfeld eher damit gerechnet, dass andere Punkte brisanter wären: etwa der Antrag, die Mitgliedschaft in der AKP, der Partei des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, für unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in der CDU zu erklären. Tatsächlich bestätigte ein Mitglied der Antragskommission unserer Zeitung, dass der Antrag zur Staatsbürgerschaft „in keiner Weise als besonderes Risiko“ gesehen wurde.

Wie überrumpelt die Parteispitze dann von der heftigen Debatte war, zeigte sich an einer ziemlich desolaten Gegenrede von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der lieferte den Antragsstellern ein entscheidendes Argument frei Haus. Der Minister argumentierte, eine Abkehr von den geltenden Vereinbarungen zur Doppelstaatsbürgerschaft sei doch mit keinem Partner politisch durchsetzbar. Da lag der Ball auf dem Elfmeterpunkt, und gesucht wurde der Schütze, der verwandelt.

Der fand sich dann in Jens Spahn. Im Merkel-Lager empfindet man sein Auftreten als grobes Foulspiel. Spahn ist Mitglied im Präsidium der Bundes-CDU, gehört also zum engsten Führungszirkel. Dass ausgerechnet er mit rhetorischer Wucht das de-Maizière-Argument mit dem Hinweis zerpflückte, der Bundesparteitag sei kein Koalitionsausschuss und könne sich jederzeit selbstbewusst eine eigene Meinung bilden, gilt bei Merkels Unterstützern als unsolidarisch. Man hätte es aber wissen können. Spahn hatte schon vor zwei Jahren auf dem Kölner Bundesparteitag mit einer wohl inszenierten Respektlosigkeit auf sich aufmerksam gemacht. Damals störte er den Parteifrieden mit einer Kampfkandidatur für einen Präsidiumsposten, die die Machtarithmetik an der CDU-Spitze durcheinander brachte. Er wurde gewählt, der Coup hat sich ausgezahlt. Der Vorstoß könnte sich auch diesmal auszahlen. Spahn hat sich mit seiner Rede jedenfalls zum profiliertesten Vertreter der konservativen Merkel-Kritiker promoviert. Das kann sich noch auszahlen. Spahn werden hohe Ambitionen nachgesagt. Die gezielte Aufmüpfigkeit könnte in der Zeit nach Merkel karrierefördernd wirken. Und immerhin beginnt in der Union allmählich das Nachdenken über diese Zeit.

Dass man in der CDU dem 36-jährigen Spahn viel zutraut, kann man auch daran erkennen, dass ihn Wolfgang Schäuble zum parlamentarischen Staatssekretär im Finanzministerium gemacht hat. Davor hatte sich Spahn als Gesundheitspolitiker einen Namen gemacht. Kein fernliegender Gedanke, dass da jemand einen Feinschliff erhalten soll, der für die CDU noch wichtig werden kann. Dass er durchaus auch lästig werden kann, hat er indes schon eindrucksvoll nachgewiesen.